Kategorien
Reise

In Kati Kati und Koro laping oloyo

24.12. – 26.12.2019

Uganda kann sich mancherorts fast europäisch präsentieren. Sicher, es ist anders als Europa, sehr viel anders, und dennoch finden wir in den Städten – nicht nur in Kampala – Anknüpfungspunkte an unsere Erfahrungswelt, Sachen, Dinge, Umstände, die wir so oder nur wenig anders aus Europa kennen. Je weiter wir aufs Land kommen, desto weniger finden wir Bekanntes und Ähnliches. In Kati Kati, einer der traditionellen Siedlungen des Acholi-Stamms, der im Norden Ugandas lebt, treffe ich auf eine Lebensweise, die ganz anders ist als unsere (und damit auch ganz anders als die in den ugandischen Städten). Jimmy und Mavis haben mir einen Einblick gewährt.

Jimmy lebt schon lange in Deutschland, länger als ich, wie wir festgestellt haben. Seit es die Sicherheitslage wieder erlaubt – im Norden Ugandas herrschte viele Jahre ein brutaler und blutiger Bürgerkrieg -, kehrt er fast jedes Jahr in sein Heimatland zurück, besucht Familie und Freunde im Acholi-Gebiet. Er lädt mich zu einem Besuch in Kati Kati, seinem Heimatdorf, ein, das in der Nähe von Gulu liegt. Dort ist er als Sohn eines medizinischen Angestellten, der in vielen Krankenhäusern Ugandas gearbeitet und praktiziert hat, aufgewachsen.

Wir verlassen Gulu auf einer gut asphaltierten Straße, passieren das St. Marys Lacor Hospital, das sogar während des Bürgerkriegs den Betrieb aufrecht erhalten konnte und sich später große Verdienste im Kampf gegen eine Ebola-Epidemie erworben hat, und biegen kurz danach von der Hauptstraße ab. Über eine holprige Piste geht es noch einige hundert Meter weiter, dann biegen wir rechts ab. Wir passieren ein aus Ziegeln gebautes Haus, und gleich dahinter stehen einige traditionelle Rundhütten auf einem großen Grundstück. Wir sind in Kati Kati angekommen.

Kati KatiIn Kati Kati: Erdnüsse werden in der Sonne getrocknet

Ich sehe mich um. Das Ziegelhaus, das wir passiert haben, hat Jimmys Vater erbaut; es ist in diesem Teil der Siedlung das einzige seiner Art. Um uns herum stehen in loser Anordnung einige aus Lehm gebaute kleine Rundhütten mit kegelförmigen Dächern aus Stroh und Reisig. Jede Hütte wird von ein bis zwei Personen bewohnt, viele sind durch eine Trennwand in zwei kleine Räume unterteilt, einen Schlafraum und einen Raum zum Wohnen und Kochen. In den Hütten wohnen Jimmys Verwandte, zwei Schwestern und einige ihrer Kinder. Es gibt keinen Stromanschluss – und daher auch keinen Kühlschrank. Ein Solarpanel versorgt Kleingeräte mit Strom.

Kati KatiNur für Elektrokleingeräte geeignet: Solarpanel in Kati Kati

Kaum sind wir ausgestiegen, umringen uns viele Kinder, Jimmys Nichten und Neffen. Jedes begrüßt uns – wie soll ich es sagen – artig, reicht uns die Hand und macht dabei einen Knicks. Später bekommt jedes Kind einen Lollipop. Wieder gibt es einen artiges Dankeschön und einen Knicks.

Kati KatiKinder in Kati Kati

Das ist nur ein Vorgeschmack auf das traditionelle Begrüßungsritual, das ich gleich erleben werde. Für Jimmy und mich stehen im Schatten zwei Stühle bereit. Zunerst kommt eine der beiden Schwestern Jimmys, um uns zu begrüßen. Auch sie macht zunächst eine tiefe Knicks-Haltung, aus der sie dann übergangslos zu Boden sinkt, so dass sie mit einem Bein kniet, und senkt den Blick.

Ich muss gestehen, dass ich zunächst sehr erstaunt und auch befremdet bin. Aber in den folgenden Tagen lerne ich, dass in traditionellen Lebensformen und nicht nur im Acholi-Land nicht nur Männer, sondern auch Frauen so begrüßt werden. Als ich später mit Mavis in ihrer Siedlung zu Besuch bin, wird sie von den Frauen ebenso begrüßt; und später sehe ich dieses Begrüßungsritual auch, als wir bei einem abendlichen Bier in einem Restaurant sitzen, wieder. Die junge Frau, die sich zu uns gesellt, begrüßt jeden Mann und jede Frau am Tisch mit diesem knicksartigen Kniefall.

Sowohl in Jimmys als auch in Mavis’ Dorf werde auch ich mit dem traditionellen Kniefall begrüßt. In Jimmys Dorf bin ich noch nach europäischen Höflichkeitsregeln aufgestanden. Das muss nicht nur lustig ausgesehen haben, sondern hat vielleicht auch den symbolischen Abstand zwischen der Begrüßenden und dem Gegrüßten vergrößert. Kulturelles Missverständnis! In Mavis’ Dorf bleibe ich also währen des Begrüßungsrituals sitzen.

Nach und nach kommen auch andere Frauen und Männer und begrüßen Jimmy und mich. Später zeigt mir Jimmy Grundstück und Siedlung. Auf dem fruchtbaren Boden baut seine Familie Getreide und Früchte an, Mais, Süßkartoffeln, Bananen und vieles anderes, ich kann mir gar nicht alles merken. Davon versorgt sich die Familie, und was übrig bleibt, wird auf dem Markt verkauft.

Auf dem Rundgang kommen wir auch zu einer Schule mit mehreren Räumen, die jetzt, während der Ferien, leer steht, und zu einem anderen aus Ziegeln erbauten Haus, dass Jimmys Bruder Peter vor langer Zeit für sich gebaut hat. Aber kurz nach der Fertigstellung ist er ins Ausland gegangen, und jetzt wohnt ein junger Mann, ebenfalls ein Verwandter, mit seiner Familie in dem Haus. Er muss Jimmy ein Problem schildern und um Rat fragen, und wir setzen uns. Der junge Mann spricht, ohne den Blick auf Jimmy zu richten, Jimmy hört aufmerksam zu, fragt nach, kommentiert und gibt ihm Ratschläge. Auf meine Frage erfahre ich, dass der junge Mann ihm aus Respekt vor dem Älteren und Erfahreneren nicht in die Augen blickt. Nur gleich zu gleich blickt sich in die Augen, so ist das im traditionellen Uganda.

Zu Mavis’ Siedlung, die Koro laping oloyo heißt, führt keine Straße, noch nicht mal eine von Autos befahrbare Piste. Um hinzugelangen, verlässt unser Boda-Boda die Piste und fährt einige Kilometer einen schmalen Fußweg entlang, der nur von Fahrrädern oder Motorrädern benutzt werden kann. Die Frauen, die wir passieren, transportieren Behältnisse auf dem Kopf; einige Männer befördern Lasten auf dem Fahrrad.

Koro laping oloyoMavis’ Mutter baut nicht nur Früchte und Gemüse an, sondern arbeitet auch als Schneiderin

Mavis’ Familie ist dem Anschein nach kleiner, hier wohnen Vater, Mutter, einige Nichten und Neffen; die mittlere Generation ist zur Arbeit in die Stadt gegangen. Die Mutter ist Schneiderin; sie sitzt im Schatten eines Baumes und arbeitet an einer Nähmaschine. Zudem baut sie eine Unmenge Gemüse und Früchte an, Guaven, Mais, riesige Jackfrüchte, Süßkartoffeln, Kochbananen, und vieles mehr; wieder kann ich Stadtmensch mir nicht alles merken. Auch dieses Grundstück ist groß, auf ihm stehen weniger Hütten, ebenfalls mit kegelförmigen Dächern aus Stroh und Reisig, aber nicht ganz rund, sondern eher oval. Ein kleines Ziegelhaus wird derzeit zum Trocknen von Sojabohnen benutzt. Weitere Ziegel warten in einem Stapel auf zukünftige Verwendung.

Koro laping oloyoIn Koro laping oloyo. Auch hier versorgt ein Solarpanel Elektrokleingeräte mit Strom

Koro laping oloyoIn Koro laping oloyo. Die Kinder dreschen Erbsen

Koro laping oloyoIn Koro laping oloyo. Die Kinder haben viel Spaß daran, fotografiert zu werden. Nach jedem Schuss muss ich ihnen das Foto zeigen, und sie freuen sich noch ein Mal

Wir bekommen Erdnüsse zu essen und danach ein Gericht aus gekochten weißen Erbsen. Mit etwas Salz schmeckt es recht lecker.

Kati KatiHier liegt Jimmys Mutter, die über 100 Jahre alt geworden ist

In beiden Siedlungen stehen auch Gräber; die Toten werden im Kreis der Lebenden bestattet. Das Grab von Jimmys Mutter ist fest gedeckt, das Grab von Mavis’ Bruder ist mit Ziegelsteinen bedeckt, weil er bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.

Koro laping oloyoHier ist Mavis’ Bruder begraben. Im Hintergrund das Haus des Nachbarn, der in Großbritannien lebt

Ich lerne auch etwas über die traditionelle Namensgebung der Acholi. Jedes Kind bekommt bei der Geburt einen Acholi-Namen, der eine Bedeutung hat. Er kann sich auf die Umstände der Geburt, auf die erhofften Eigenschaften des Kindes oder auf anderes beziehen. So kann ein Mädchen, das nicht zu Hause zur Welt gekommen ist, zum Beispiel Alum heißen. Kommen Zwillinge zur Welt, heißt die Erstgeborene Apio, die andere Acen. Außerdem suchen die Eltern einen christlichen Namen aus, auf den das Kind getauft wird. Nennen die Acholi ihren Namen, steht der christliche an erster Stelle, es ist zugleich ihr Rufname. So heißt Jimmy mit christlichem Namen James und sein Acholi-Name lautet Anywar: James Anywar. Familiennamen in unserem Sinne gab es früher nicht. Heute aber wird der Acholi-Name immer häufiger zum Familiennamen, erfahre ich.

Ich habe noch viel mehr Eindrücke gesammelt, so viele, dass ich sie gar nicht alle wiedergeben kann. Wir lassen es für heute gut sein.

Von dankwartp

Geboren. Hoffnungsfroh skeptisch. Noch am Leben.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert